12.03.2023

Veränderungsmanagement | Gastgewerbe

Warum sterben immer mehr Landgasthöfe in Schleswig-Holstein? Antworten darauf gibt eine Expertise der Akademie für die Ländlichen Räume Schleswig-Holsteins e.V.

Seit längerem beobachtet die Akademie für die Ländlichen Räume Schleswig-Holsteins e.V. ein Landgasthofsterben in Schleswig-Holstein. Im Folgenden stellen wir die Inhalte der Expertise in verkürzter Form vor.

Landgasthof
Landgasthof

Die Gründe für den kontinuierlichen Rückgang der Landgastronomie liegen in der Veränderung der ländlichen Räume mit ihren sozialen Strukturen, der erhöhten Mobilität, aber auch in der veränderten Freizeitgestaltung der ländlichen Bevölkerung. So finden z.B. Unternehmungen nicht mehr nur unbedingt im eigenen Dorf statt, sondern auch in benachbarten Dörfern oder näher gelegenen Städten. Zudem steht der Aufwand des Betriebs und die Einnahmen nicht immer im profitablen Verhältnis. Auch die Nachfolge gestaltet sich oft schwierig.

Die Messbarkeit eines Landgasthofsterben in Schleswig-Holstein stellt sich als kompliziert heraus, denn der Begriff „Landgastronomie“ unterliegt keiner statistischen Definition und wird somit bei Datenerhebungen nicht abgefragt. Bei der Gewerbeanmeldung entscheidet zudem der Anmelder selbst, ob er sich zur Hotellerie oder Gastronomie zählt. Des Weiteren sind die landgastronomischen Betriebe so vielfältig, dass sie auch in Größe und Ausrichtung schlecht vergleichbar sind.

Die Expertise schlägt folgende Kategorisierung von Landgasthöfen vor (S. 13): 

  1. Der reine Restaurantbetrieb (inklusive Schankwirtschaften, Dorfkrüge, Hofcafés) 
  2. Der Restaurantbetrieb mit Beherbergung (im klassischen Sinn der Landgasthof) 
  3. Der Restaurantbetrieb mit Saalwirtschaft (ohne Beherbergung) 
  4. Der Landgasthof (Restaurantbetrieb, Beherbergung) mit Saalwirtschaft 
  5. Der Landgasthof, der sich ganz auf das Saalgeschäft konzentriert (für Hochzeiten, Messen) 
  6. Der Landgasthof, der sich (fast) nur noch auf Beherbergung konzentriert

Zudem definiert die Expertise folgende Zielgruppen (S. 13):

  1. Besuchende aus dem Dorf bzw. der Gemeinde. Sie sind wichtig für das Alltagsgeschäft einer Schankwirtschaft und bilden gerade durch größere Familienfeste über Jahrzehnte hinweg das finanzielle Rückgrat der Saalbetriebe. Diese Zielgruppe unterliegt jedoch dem o.g. Wandel.
  2. Treue Gäste profilierter bzw. spezialisierter Landgasthöfe (z.B. Wildrestaurants). Durch z.B. gehobene Küche, Verbindungen zu Kunst und Kultur, wurden Gäste aus dem weiteren Umfeld angelockt und zu Stammgästen, auch in der Corona-Zeit.
  3. Geschäftsreisende, Monteurinnen und Monteure sowie Vertreterinnen und Vertreter sorgen oft mit ihren Übernachtungen für ein regelmäßiges Einkommen.
  4. Teilnehmende an Messen, Seminaren und Workshops
  5. Reisende von/nach Skandinavien. Besonders Landgasthöfe, die in der Nähe von Autobahnen liegen, können von diesen Gästen profitieren.
  6. Tagesausflüglerinnen und Tagesausflügler aus großen Städten
  7. Kurzurlaubende. Fünf Tage an der See sind inzwischen beliebter als drei Wochen während de Ferienzeiten.
  8. Langzeiturlaubende, welche die ganze Saison in Schleswig-Holstein verbringen,
    z.B. in Pensionen, Ferienwohnungen oder auf dem Campingplatz.

Viele Betreiberinnen und Betreiber zeigen mit kreativen Ideen, wie sie den Ort für die Gemeinde erhalten. Es folgen Beispiele

  1. Landgasthof in einer 550-Einwohner-Gemeinde:
    Die Immobilie gehört der Gemeinde. Der Landgasthof hat sich auf gehobene Küche und Kunstausstellungen sowie auf treue Kunden von Hamburg bis Flensburg spezialisiert. Die Gäste aus der Dorfbevölkerung entfallen fast gänzlich. Während der Corona-Krise sicherte die Kundschaft von außerhalb durch das Bestellen von Außer-Haus-Menüs das Überleben (S. 25).
  2. Die gehobene Eventlocation in Dithmarschen:
    Die Kinder übernehmen zirka 2010 den Landgasthof der Eltern im Nebenerwerb und richten ihn auf Bankette, Familienfeiern und Feste aus. Der Umsatzverlust für 2020 wird durch das zweite Standbein aufgefangen. Betriebs- und Unterhaltskosten sind niedrig (S. 25).
  3. Kleiner Dorfkrug mit Monteurswohnungen:
    Hier gibt es eine einfache Küche und für die Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner das Bier abends am Tresen. Der Zuspruch aus dem Dorf wird jedoch immer geringer. Daher baute man in der Krise die ehemalige Kegelbahn zu Monteurswohnungen um. Insgesamt steht der Betrieb vor „dramatischen Herausforderungen“ (S. 26).
  4. Landgasthof und Hotel:
    Landgasthof in Binnenlandlage für Feste, Bankette und Hochzeiten. Dazu gehört in der ca. 20 km entfernten Kleinstadt ein Hotelbetrieb mit sehr gutem Sommergeschäft. Die Umsatzverluste des Landgasthofs werden gemindert, indem die kleineren Feiern im Hotelbetrieb durchgeführt werden (S. 26).
  5. Landgasthof mit Zimmern in touristischer Randlage:
    Dieser profitiert vom guten Sommergeschäft und dem Urlaub im eigenen Land.
    Zudem unternehmen Touristen der Ersten Lage Ausflüge in die Bereiche der Zweiten Lage und stärkten damit den Tagestourismus. Dennoch entstand ein Umsatzminus für 2020 von 10 % (S. 26).
  6. Wellnesshotel und Sterneküche auf einer nordfriesischen Insel macht 2020 Umsatzplus von 15 %:
    Da März und April als Vorsaison und November als Nachsaison gelten, konnte der Betrieb sich vollkommen auf das starke Saisongeschäft 2020 konzentrieren. Mit Kreativität wurden Lösungen gefunden, die den Umsatz gesteigert haben (S. 26). 

Die Befragung der Landgastronominnen und Landgastronomen für die Expertise hat gezeigt, dass kreative Ideen und Konzepte das Überleben der Betriebe im Lockdown gesichert haben. Beispiele hierfür waren Drive-In-Menüs zum Take-away-Frühstück, Corona-konforme Gartenpartys und Video-Gaststätten. Diese Kreativität kann die Landgastronomie auch nach der Krise positiv verändern (S. 28).

Auch das richtige Mindset in Bezug auf nachhaltige Personalführung stellt einen Schlüssel zum langfristigen Erfolg und der Resilienz der Betriebe dar. Die Festanstellung der Mitarbeitenden wirkt der Fluktuation entgegen und wirkt sich positiv auf das Team-Gefühl aus. Auch dem Gast gegenüber entsteht eine authentische Atmosphäre. Nachhaltige Mitarbeiterführung bedeutet aber auch das Zahlen von gerechten Löhnen, Mitarbeiterbindungsprogramme und die Bezuschussung von Arbeitswegen (S. 32).

Durch die Corona-Pandemie sind Homeoffice und Co-Working-Spaces auch in den ländlichen Räumen angekommen. Gleichzeitig birgt der demographische Wandel die Gefahr der sozialen Vereinsamung älterer Menschen. Junge Familie benötigen Kinderbetreuungsplätze. Die Landgastronomie kann an all diesen Stellen direkt und indirekt ansetzen, z.B. durch die Verpflegung von Kindergärten (S. 42).


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Quelle: Expertise zur Zukunftsfähigkeit der Landgastronomie in Schleswig-Holstein 2022. https://www.alr-sh.de/veroeffentlichungen/download/ [Stand 22.02.2023)

Bildquelle: iStock

Expertise

Das ausführliche 66-seitige Original-Dokument der ALR e.V. finden Sie hier: 

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